Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich sehr, dass Sie von der CDU/CSU heute hier
diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Das ist ein sehr,
sehr wichtiges Thema, und ja, es ist auch sehr wichtig,
dass wir über die Rolle der CDU/CSU bei diesem Thema
sprechen.
(Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD])
Sie haben gesagt, dass Sie sich große Sorgen wegen
der hohen Energiepreise machen. Das teile ich; das teile
ich zu mindestens 100 Prozent. Ich könnte mir vorstellen,
dass ich mir noch größere Sorgen mache als Sie, weil ich
mir sehr genau angeschaut habe, wo die Preise für die
Endkunden noch hingehen werden. Das wird weiter steigen, weil die Importkosten von fossilen Energieträgern so
hoch sind, weil das Gas, das wir jetzt einspeichern und im
nächsten Winter an die Endkunden verkaufen, nicht
70 Prozent teurer als in der Vergangenheit, nicht doppelt
so teuer, nicht dreifach so teuer aus dem Ausland eingekauft wird, sondern sieben- bis achtmal so teuer. Das
ist der Grund, warum wir uns wirklich Sorgen machen
und warum ich mit Ihnen in diesem Punkt sehr einig bin.
Aber wir müssen auch darüber reden, wo eigentlich die
Verantwortung liegt. Das ist, glaube ich, die Flucht nach
vorne, dass Sie jetzt, in Wahlkampfzeiten, versuchen,
möglichst laut zu schreien: „Die Situation ist übrigens
großer Mist“, und hoffen, dass dann alle glauben: „Oh,
wenn die Situation Mist ist und sie schreien; dann muss
wohl jemand anderes schuld sein.“ Ich glaube, da haben
Sie einen kleinen Denkfehler gemacht; denn es ist zu
eindeutig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Das ist zu eindeutig. Das Schlamassel ist die Abhängigkeit von den fossilen Energien; das Schlamassel ist,
dass wir weiter kaufen müssen, weil Sie die Energiewende verpennt haben,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
weil Sie jahrelang auf Hinweise, dass wir unabhängig
werden wollen, mit Abwiegeln reagiert haben, mit Nein,
mit Bedenken, und den Ausbau der Erneuerbaren ausgebremst haben. So geht das nicht.
Jetzt schauen wir uns den zweiten Teil an, nachdem wir
einmal auf die Sorge und die Verantwortung geschaut
haben. Was ist denn mit Ihrem Lösungsvorschlag Steuergeld? Ja, das ist richtig. Wir haben schon das zweite
Entlastungspaket, übrigens mit mehr Milliarden als Sie,
weil Sie so stolz auf Ihre 20 Milliarden Euro hingewiesen
haben. Sicherlich muss man den Menschen jetzt helfen.
Aber sonst habe ich nichts bei Ihnen gehört. Kann das das
Einzige sein? Nichts von erneuerbaren Energien, nichts
von Energieeffizienz, nichts davon, das Problem bei der
Wurzel zu packen und tatsächlich herauszukommen aus
dem Schlamassel. Wollen Sie wirklich auf Dauer dieses
Problem einfach mit Steuergeld zukippen? Das kann
doch nicht Ihr Ernst sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Jeden zweiten Tag fließt aus der EU allein für Gas nach
Russland 1 Milliarde Euro. Da wollen Sie einfach sagen:
„Ja, dann müssen alle jetzt ganz viel Steuergeld bekommen, dass es ihnen nicht mehr wehtut“? Das ist doch
Quatsch; das ist doch kurzsichtig. Das kann doch nicht
funktionieren!
Herr Leye, ich möchte ein paar Worte an Sie richten.
Ich finde nämlich, dass auch Ihre Rede ziemlich an der
Realität vorbeiging. Sie haben Mut gefordert, und es war
tatsächlich mutig, würde ich sagen, mit doch relativ dünner Sachkenntnis so markige Forderungen aufzustellen.
Sie haben gesagt: Bei den Netzentgelten gibt es doch eine
Regulierung. Dann können wir doch einfach die restlichen Energiepreise regulieren – fertig, aus, kein Problem
mehr.
(Christian Leye [DIE LINKE]: Im Moment ist
nicht das Angebot das Problem!)
Dass die Netzentgelte im Moment deutlich günstiger sind
als der Strom an der Börse, liegt natürlich daran, dass die
Beschaffung dieser Netze tatsächlich deutlich günstiger
ist als die Beschaffung von Gas und Kohle, die wir brauchen, um Strom zu produzieren.
(Christian Leye [DIE LINKE]: Es geht um das
Instrument!)
Und da kann keine Regulierung helfen. Wenn das Gas
zum siebenfachen Preis über die Grenze kommt, dann
können Sie das nicht wegregulieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
SPD – Christian Leye [DIE LINKE]: Habe ich
alles schon gesehen! Vor der Liberalisierung!)
Was ich besonders schlimm finde, ist, dass Sie sich
lustig machen über Menschen, die Energiespartipps geben, dass Sie sich lustig machen über Menschen, die
Wege aufzeigen, solidarisch zu sein mit denen, die abhängig sind vom Energieverbrauch.
(Widerspruch bei der LINKEN)
Sie wollen die Energieversorgung günstiger machen.
Ja, günstiger kann sie werden, wenn wir weniger verbrauchen. Energie ist extrem knapp – Gas ist knapp, Öl
ist knapp –, und deshalb ist sie so teuer. Ja, natürlich
können wir alle, insbesondere die Reichen – Sie tun
mal wieder so, als würden Energiespartipps sich nur an
die Ärmeren richten –, solidarisch sein. Die Reichen verbrauchen viel mehr Energie als die Armen. Und ja, natürlich: Wir alle müssen dazu beitragen, dass sich das
ändert. Ich bin sicher, dass Herr Habeck sehr viel mehr
dazu beiträgt als Sie, weil er nämlich verstanden hat, um
was es geht:
(Beifall des Abg. Michael Kruse [FDP])
Es geht darum, den Energieverbrauch zu reduzieren, um
die Energiepreise wieder zu senken, weil gerade die
Leute mit wenig Geld in der Tasche darauf angewiesen
sind, bezahlbare Energie zu bekommen. Und ja, da hilft
auch mal ein Energiespartipp.
Ehrlich gesagt: Ich glaube, die Menschen sind ziemlich
verratzt, wenn sie auf Sie hören. Dann werden sie nämlich sagen: Ach, nee, ich versuche gar nicht erst, mit
weniger Energie zurechtzukommen. – Und wenn sie im
nächsten Winter und im nächsten Sommer ihre Abrechnungen sehen und dann bei Ihnen anklopfen und sagen:
„Sie haben doch gesagt, ich soll nicht sparen, aber ich
kann es nicht bezahlen“, dann sagen Sie: „Nein, das
war alles lächerlich“?
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat
er nicht gesagt! Das können Sie im Protokoll
nachlesen! – Weitere Zurufe von der LINKEN)
Das ist nicht lächerlich. Das ist Solidarität, das ist Teil der
Lösung eines riesigen Problems, eines riesigen Schlamassels.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der FDP – Abg.
Kathrin Vogler [DIE LINKE] meldet sich zu
einer Zwischenfrage – Dorothee Bär [CDU/
CSU], an die Abg. Kathrin Vogler [DIE
LINKE] gewandt: Das ist eine Aktuelle Stunde!)
– Ich würde supergerne Zwischenfragen beantworten,
aber es gibt keine in der Aktuellen Stunde. Machen Sie
es gerne morgen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kritisieren Sie lieber den Kanzler, der nur für 20 Stunden nach Japan fliegt!)
Was wir machen müssen, ist handeln. Es wurde mehrmals gesagt: Was Minister Habeck allein mit seinem entschlossenen Handeln in der ganzen Geschichte um Gazprom Germania den Endkunden an Kosten erspart hat, –
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
– haben Sie, glaube ich, in zehn Reden mit Ihren Vorschlägen nicht zustande gebracht.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der FDP)