Gastbeitrag: Digitale Beteiligung kann dem Netzausbau auch nach Corona nutzen

Kontaktbeschränkungen, Verbot von Veranstaltungen und vielerorts auch eingeschränkte Mobilität: Die Coronakrise hat uns fest im Griff. Mögen die ersten Maßnahmen schon wieder gelockert werden, wird es trotzdem noch Monate dauern bis sich wieder eine neue Normalität etablieren kann. Diese Zeit hat der Netzausbau allerdings nicht. Bereits 2022 wird das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen, die Hoffnungen der Bundesregierung an die Offshore-Windenergie werden stetig größer und die Industrie verlangt enorme grüne Energiemengen für die klimafreundliche Transformation. Der Netzausbau muss auf diese Herausforderungen reagieren und darf nicht in eine Coronastarre verfallen. Die Zeche für die Verzögerungen zahlen wir als Verbraucher*innen. Solange die rechtlich vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung nicht vor Ort stattfinden kann, muss die Bundesregierung zügig Alternativen liefern. Die Lösung könnte die Digitalisierung bringen.

Der Ausbau des Stromnetzes kann nur gelingen, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger von Anfang an in die Planungen einbeziehen und dafür sorgen, dass sinnvolle Ideen aufgenommen und die Planungen tatsächlich angepasst werden. Dieses Erfolgsrezept hat sich bereits bei der zügigen Genehmigung der Westküstenleitung in Schleswig-Holstein bewährt. Transparent und im Dialog können Fragen beantwortet, Änderungen vorgenommen und Entscheidungen getroffen werden. Diese Transparenz ist Grundvoraussetzung auch für ein digitales Verfahren. Die digitale Bürgerbeteiligung bietet sogar ein besonderes Potenzial. Digital können Karten interaktiv betrachtet und ortsspezifische Kommentierungen ermöglicht werden. Selbst Anhörungen sind dank digitaler Videokonferenzen möglich. Eingereichte Fragen und Antworten können jederzeit öffentlich zugängig sein. Alle mitnehmen und einbeziehen – das muss das Ziel sein.

Doch nicht jeder hat Zugang zum Internet. Damit diese Bürgerinnen und Bürger auch während Corona angemessen beteiligt werden, muss ein direktes Verfahren beispielsweise per Post oder per öffentlichem Internetzugang in Bürgerämtern und Büchereien möglich sein. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass ein Großteil der Menschen selbstverständlich im Netz aktiv ist und auch das Verfahren vor Ort viele Personen ausschließt. Wer nicht mobil oder zeitlich sehr eingeschränkt ist, oder Schwierigkeiten hat vor großen Menschengruppen zu sprechen hat über ein digitales Verfahren eine flexiblere und niedrigschwellige Option sich zu beteiligen. Deshalb bieten gut gemachte digitale Verfahren die Chance Bürgerinnen und Bürger noch umfassender zu beteiligen. Nicht nur in der Coronakrise, sondern möglicherweise auch danach.

Es ist wichtig, dass ein jetzt aus der Not geborenes Probeverfahren wissenschaftliche begleitet und analysiert wird, um eine zukünftige Nutzung zu bewerten und bereits existierende Expertise zu nutzen. Der Netzausbau in Deutschland kann und soll davon profitieren. Nicht nur die Energiewende, sondern unser Kampf gegen die Klimakrise hängt davon ab. Die Coronakrise mag der überfällige Anschub sein, um die Digitalisierung endlich voranzubringen. Profitieren sollten wir davon langfristig und müssen dafür jetzt tragfähige Fundamente legen.

Dieser Beitrag ist am 07. Mai 2020 im Energate Messenger erschienen.