Gastbeitrag: „Ein Deckmäntelchen für fossile Strukturen“
Wer eine lebenswerte Zukunft für alle will, muss bereits heute in den Klimaschutz investieren. Dazu gehören mutige Investitionen in grünen Wasserstoff. Und dazu gehört der Einsatz für Erneuerbare Energien, auch für Windstrom. Zurecht beschreibt die Bundesregierung die vielen Vorteile von Wasserstoff – um dann bei über 80% der von ihr angestrebten Mengen offen zu lassen, wo das energieintensive Gas eigentlich herkommen soll. Jedenfalls nicht aus erneuerbarem Strom in Deutschland, denn dessen Zubau bekommt die Bundesregierung viel zu langsam auf die Reihe.
Mindestabstände für die Windenergie an Land, mangelnder Reformwille bei der Vergütung für Photovoltaik-Anlagen und fehlende Anreize für erneuerbare Wärmeversorgung: Die aktuelle Politik der großen Koalition könnte kaum schädlicher für den Ausbau der Erneuerbaren Energien sein. Laut Gutachten des Umweltbundesamtes droht Deutschland seine eigenen Ausbauziele für Erneuerbare Energien sowie seine Klimaziele bis 2030 mit den aktuellen Vorgaben zu verfehlen. Die Ökostromlücke droht bereits ohne den zusätzlichen Bedarf für Wasserstoff. Hier plant die Bundesregierung bis 2030 den Aufbau einer Elektrolysekapazität zur Herstellung von Wasserstoff von 5 GW, einschließlich der benötigten Kapazitäten für grünen Strom. Selbst für die 14% vom Wasserstoff, die laut Bundesregierung im Jahr 2030 aus Ökostrom in Deutschland produziert werden sollen, reicht das Zubautempo nicht, das diese Bundesregierung bei den Erneuerbaren hinlegt. Mehr Grünstrom für Wasserstoff anzukündigen, traut sie sich selbst nicht in ihrer Wasserstoffstrategie. Das ist ein Deckmäntelchen für fossile Strukturen, kein Klimaschutz.
Ohne ausreichend grünen Strom droht die Wasserstoffstrategie zum Einfallstor für grauen Wasserstoff aus Kohlestrom zu werden. Auch die Ankündigung, dass Elektrolyseure weitestgehend von Steuern, Abgaben und Umlagen befreit werden sollen, kann zum Absatzmotor für Kohlestrom werden. Denn auch Kohlestrom wird mit der EEG-Umlage belegt und profitiert von einer Befreiung. Sollte die Bundesregierung auf Grünstromzertifikate setzen, wäre das lediglich eine Um-Etikettierung von Strom: Der Strom aus den Windrädern und Solarzellen fließt in den Wasserstoff, die anderen Verbraucher werden entsprechend mit mehr Kohlestrom beliefert. Die Umwandlung von Strom in Wasserstoff darf zeitlich spezifisch nur dann belohnt werden, wenn viele Erneuerbare im Netz zur Verfügung stehen und Kohlekraftwerke aufgrund der aktuellen Börsenpreise kein Geld verdienen. Das sollte das Ziel sein der längst überfälligen Reform der Abgaben und Umlagen. Grüner Wasserstoff muss da und dort produziert werden, wo zusätzlicher grünen Strom zur Verfügung steht.
Und was die immer wieder geäußerte Hoffnung der Bundesregierung angeht, andere würden alle unsere Probleme für uns lösen und kostengünstig, zeitnah und in großen Mengen grünen Wasserstoff bei uns anlanden: Wieso unterstützt die Bundesregierung dann heute noch Investitionen in fossile LNG-Terminals anstatt darauf zu drängen, dass endlich Wasserstoffterminals geplant werden? Die Bundesregierung hat nicht einmal einen Plan für den Transportweg, verlässt sich aber felsenfest auf große Importmengen. Das ist nicht unser Verständnis von Versorgungssicherheit im Energiesektor.
Aufgrund des hohen Umwandlungsverlustes und der kostspieligen Produktion bleibt Wasserstoff ein kostbarer Energieträger, der sinnvoll und an den Klimazielen orientiert eingesetzt werden sollte. Schwerpunkt sollte der Einsatz in der Industrie, dem Schwerlast- und Flugverkehr sowie als industrieller Grundstoff haben. Aber die Bundesregierung verteilt lieber mit dem Gießkannenprinzip und macht vielen Anwendungsbereichen unrealistische Hoffnungen. Hierzu zählt der Einsatz im PKW-Verkehr und im Wärmesektor. Für beide gibt es sinnvollere und effizientere Alternativen. Deshalb wollen wir Grüne den Wasserstoff da und dort einsetzen, wo nicht elektrifiziert werden kann.
Nicht elektrifizierbar ist der Flugverkehr. Hier finde ich eine zunächst kleine Quote für grünes Kerosin sinnvoll. Wir Grüne versprechen uns von dieser Quote einen Erfahrungsgewinn hinsichtlich der Möglichkeiten grünen Wasserstoff zu importieren. Das ist der Vorteil einer grünen Quote. Stattdessen möchte die Bundesregierung dem Flugverkehr damit bloß einen grünen Anstrich verpassen. Fliegen wird nicht allein durch die Beimischung von Wasserstoff klimafreundlich. Dafür müssen wir unsere Gewohnheiten ändern und insgesamt weniger fliegen. Warum innerhalb von Europa nicht auf die Bahn umsteigen? Die Möglichkeit in ein gut ausgebautes Schienennetz zu investieren mit moderner Technik, die eine bequeme Anbindung zwischen den Städten ermöglicht ist da. 130 Milliarden ist die Bundesregierung bereit über das Zukunftspaket zu investieren. Nur leider nicht in effektiven Klimaschutz. Die Chance hat sie verpasst. Wer gegen Windmühlen kämpft, kann nicht mit Wasserstoff wieder zum klimafreundlichen Energiepolitiker werden.
Der Gastbeitrag ist am 18. Juni auf der Webseite des Enorm Magazins erschienen.