Die Energiewende in Deutschland stockt. Obwohl die überwältigende Mehrheit der Menschen für den Ausstieg aus Kohle und Atom sowie den schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien ist, steht die schwarz-rote Bundesregierung seit Jahren auf der Bremse. Dadurch hat sich der Ausbau von Solar- und Windenergie zuletzt dramatisch verlangsamt.
Die Vorschläge für mehr Solar- und Windenergie an Land liegen längst auf dem Tisch. Und die Regierung darf das dritte Standbein nicht vergessen: die Windenergie vom Meer. Rund 1500 Anlagen wurden bisher in Nord- und Ostsee gebaut. Sie liefern etwa so viel Strom, wie Berlin, Hamburg und München zusammen verbrauchen. Jetzt gilt es, den Ausbau engagiert fortzusetzen. Denn die Offshore-Windenergie liefert eine verlässliche Versorgung mit sauberem Strom.
Im Vergleich zur Windenergie an Land erzeugen die Anlagen auf See mindestens doppelt so viel Strom, weil der Wind dort kontinuierlicher weht. Wind vom Meer ist damit ein stabiler Anker für die neue Energiewelt, in der der Bedarf an sauberem Strom steigt – für Elektrofahrzeuge, für Wärmepumpen, für grünen Wasserstoff in der Industrie oder als Energiespeicher.
Dafür müssen jetzt die politischen Weichen gestellt werden. Aus unserer Sicht sind für die Finanzierung der Offshore-Anlagen sogenannte Differenzverträge am besten geeignet: Beim Zuschlag für ein Projekt wird ein bestimmter Markterlös für den produzierten Windstrom zugrunde gelegt. Liegt später der Wert am Strommarkt unter dieser Marke, erhält der Windparkbetreiber die Differenz erstattet. So funktioniert auch die bisherige Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Liegt der Marktwert dagegen darüber, zahlt der Betreiber in entsprechender Höhe auf das EEG-Konto ein. Er gibt also einen Beitrag an den allgemeinen Fördertopf zurück.
Damit ist die Finanzierung der Projekte gesichert und gleichzeitig eine Überförderung ausgeschlossen. Der Strom kann kostengünstig zur Verfügung gestellt werden, die Ausbau- und Klimaziele werden mit hoher Sicherheit erreicht. Die Offshore-Industrie ist längst eine wichtige Zukunftsbranche für Deutschland geworden. Das zeigt sich besonders in den Küstenländern an Nord- und Ostsee. Hier haben Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette investiert und so Arbeitsplatzabbau und Steuerrückgänge in anderen Bereichen – zum Beispiel bei Schiffswerften – kompensieren können.
Damit der Klimaschutz vorankommt und Investitionen sowie gut bezahlte Arbeitsplätze von Dauer sind, braucht dieser Wirtschaftszweig eine verlässliche Perspektive. Die von bisherigen Bundesregierungen vorgegebene Zwangspause für den Ausbau der Offshore-Windenergie in den kommenden zwei Jahren bedeutet das Gegenteil. Umso wichtiger ist jetzt langfristige Planungssicherheit.
Ohne Frage bringt der Ausbau der Windenergie auf dem Meer auch Konflikte mit sich. Wir wollen dabei die Vorteile für den Klimaschutz mit den Interessen des Naturschutzes in Einklang bringen. Mit sorgfältiger Planung und enger Zusammenarbeit mit Naturschutzbehörden können Probleme vermieden werden. Fortschritte gab es in der Vergangenheit durch bessere technische Verfahren, zum Beispiel einen leiseren Bau der Windradfundamente. Außerdem können Offshore-Windparks Rückzugsräume für Meeresbewohner werden und so zum Artenschutz beitragen. Aber nicht nur die Offshore-Branche, auch andere Wirtschaftszweige müssen ihren Beitrag zur nachhaltigen und artenverträglichen Nutzung des Meeres leisten: die Schifffahrtsindustrie, die Fischerei, die Rohstoffgewinnung und nicht zuletzt das Militär.
Gemeinsames Handeln auf europäischer Ebene verbessert auch das Ergebnis für Klimaschutz und Energieversorgung. Daher rufen wir die Regierung auf, sich beim Ausbau der Windenergie auf See besser mit unseren Nachbarn abzustimmen – zum Beispiel bei den Ausschreibungsterminen oder beim Anschluss von Windparks an Stromleitungen. Die anstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft bietet dafür eine hervorragende Gelegenheit. So kann der entschlossene Ausbau der Offshore-Windenergie zu einem wichtigen Baustein des Green Deal werden.
Der Gastbeitrag ist in Kooperation mit meiner Kollegin Dr. Julia Verlinden am 2. Juni 2020 in der Frankfurter Rundschau erschienen.