Rede zur Gaskrise
Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Merz, in der Tat bin auch
ich froh, dass Olaf Scholz und Minister Habeck gerade
nicht hier sind, um sich mit Ihren Argumenten auseinanderzusetzen,
sondern dass sie sich um die Probleme in diesem Land
kümmern, dass sie gerade genau die Taten umsetzen, von
denen Sie sprechen.
Denn, Herr Merz, es reicht nicht, ein wichtiges Thema
anzusprechen, um eine gute Debatte zu haben. Man muss
auch eine richtige Analyse zu dem Thema haben.
– Ja, eine gute Rede würde auch helfen; da bin ich ganz
bei Ihnen.
Sie haben konkret angesprochen, dass uns die
schwerste Wirtschaftskrise seit Langem droht. Das ist
richtig, und das ist ernst zu nehmen. Aber man hat den
Eindruck: Sie haben noch nicht einmal mitbekommen,
dass Krieg in Europa ist. Sie haben eben gesagt, das sei
hier nicht das Thema; das haben Sie reingerufen.
Wenn Sie meinen, dass die derzeitige schwierige Lage in
der Wirtschaft nichts mit dem Krieg in Europa zu tun
habe: Wo waren Sie denn die letzten Monate?
Stattdessen liefern Sie in Ihrer Analyse: Oh, die hohe
Steuerlast! – Ja, das ist jetzt natürlich sehr wahrscheinlich –
– Sie haben gerade von der hohen Steuerlast gesprochen.
– Darf ich mein Argument einmal entwickeln?
Also: Uns droht eine schwere Wirtschaftskrise. Sie
haben zum Beispiel – ich nehme die anderen Argumente
gerne auch noch auf, wenn Sie mich sprechen lassen –
von der hohen Steuerlast gesprochen. Das ist jetzt natürlich sehr wahrscheinlich, dass die Steuern, die wir nicht
erhöht haben, seit die Große Koalition regiert hat, das
Problem sind, das unser Land gerade so hart beutelt –
sehr wahrscheinlich! Hat es nicht vielleicht eher etwas
damit zu tun, dass – das war eines Ihrer nächsten Argumente: Importe haben zugenommen – Importe fossiler
Energien so dramatisch teuer geworden sind? Hat es vielleicht doch etwas mit dem Krieg zu tun, den Putin in
brachialer Brutalität gegen die Ukraine mit Waffen,
aber gegen uns als Wirtschaftskrieg mit Energiepreisen
führt? Das interessiert Sie nicht. Sie hören nicht mehr zu.
Die Analyse interessiert Sie nicht. Sie wollen nur Ihre
alten, angestaubten Worte in die Debatte werfen: Steuern.
Dann, Herr Dobrindt, komme ich zu Ihnen: Sie haben
einen guten Teil Ihrer Rede nur über Atomenergie gesprochen. Das zeigt wieder: Sie haben keine Analyse
zur aktuellen Situation. Selbst wenn man die drei Atomkraftwerke, was nicht geht, weil die Brennelemente dafür
nicht da sind, weiterlaufen lassen würde, selbst wenn man
es könnte
– die Brennelemente sind nicht da, und wenn Sie welche
in der Tasche haben, dann holen Sie sie raus –,
könnten wir damit nur ungefähr 1 Prozent unserer Gesamtenergie erzeugen – 1 Prozent der Gesamtenergie!
Womit wir aber – je nach Experteneinschätzung – 10 bis
20 Prozent einsparen könnten, nicht 1 Prozent, sind Energieeffizienz und -einsparung. Dazu haben Sie nichts gesagt.
Das ist genau das Problem: dass Sie nicht die Analyse
an den Anfang stellen und überlegen: Was bringt uns
denn was? Wie können wir Verantwortung übernehmen
für dieses Land? Wie können wir die Krise lösen?
Stattdessen holen Sie irgendein Schlagwort aus der Mottenkiste, das Ihnen gerade passt, und werfen das hier in
den Raum. Das ist verantwortungslos.
Was uns wirklich entscheidend voranbringt, ist der
Ausbau der erneuerbaren Energien. Und es ist wirklich
schwer, das nach Ihrer langen Regierungszeit wieder in
Gang zu bringen. Nina Scheer hat vieles genannt, was wir
gemacht haben.
Morgen haben Sie die Chance, der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes zuzustimmen. Und Sie haben
überall im Land die Chance, den realen Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen.
Auch das bringt uns so viel mehr als die Träume, die Sie
über Atomenergie haben, die gar nicht umzusetzen sind.
Ich bin wirklich froh, dass Minister Habeck in dieser
Krise regiert, dass er zahllose Gesetze schon auf den Weg
gebracht hat, dass er vor Ort ist bei der Handwerkermesse; denn auch das ist Teil der Lösung. Die müssen dazu
beitragen. Ich bin so froh, dass Minister Habeck hier
regiert und nicht jemand, der versucht, jetzt über Steuererleichterungen die Probleme, die wir mit dem Ukrainekrieg haben, die wir mit der Preisexplosion bei fossilen
Energien haben, zu lösen.
Herzlichen Dank.